Auf Umwegen zum Priester

Es ist ein warmer Tag als ich Andreas Jauss im Priesterseminar in Rottenburg besuche. Andreas und ich kennen uns schon eine Weile durch die gemeinsame Kirchenarbeit. Wir treffen uns heute für eine Stunde in seiner Mittagspause, bevor es bei ihm wieder weiter geht im Vorbereitungsprogramm für die Priesterweihe. Mittagsgebet steht auf dem Programm. Doch zuerst nimmt er sich Zeit für mich.

Von Eva Schlegel

Andreas geht mit mir in den Garten des Priesterseminars. Dort können wir ungestört reden. Man glaubt kaum, dass man mitten in der Stadt ist, so ruhig ist es. Und so ruhig ist auch Andreas. Man kann sagen: Er ruht in sich. Im Einklang mit seiner Entscheidung, im Einklang mit allem, was war und was noch kommen wird.

„Auf keinen Fall Pfarrer“

Wir unterhalten uns zunächst einmal über seine Kindheit und Jugend in der Nähe von Böblingen und Sindelfingen. Ich will wissen, wann er geboren ist. „1960“, sagt er gerade heraus. Also schon 57 Jahre alt, denke ich und bin beeindruckt, dass er jetzt noch bereit ist ein Leben zu führen, das viele nicht nachvollziehen können. Und da liegt natürlich die Frage nahe, ob sie ihn schon immer begleitet hat, dass er wirklich Priester werden wollte. Andreas lacht fröhlich und sagt zu meinem Erstaunen: „Nach dem Abitur wusste ich nicht genau, was ich machen wollte. Ich wusste nur, was ich auf keinen Fall werden wollte: nämlich Pfarrer.“

Foto: Diözese Rottenburg-Stuttgart/Ulmer

Ausbildung – Studium der Malerei – Ateliersuche

Tja, da hatte Gott wohl etwas anderes mit ihm vor. Denn bevor die Priester-Frage wieder aufkommen sollte, schloss er eine kaufmännische Ausbildung ab, absolvierte ein Studium der Malerei und Grafik an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Karlsruhe und suchte sich ein Atelier. Inzwischen schon Ende 30 führte ihn genau diese Suche nach geeigneten Räumen für ein Atelier nach Kirchentellinsfurt. Dort fand er durch eine Zeitungsannonce lichtdurchflutete Räume für seine Kunst. Und er verrät: „Auch heute bin ich immer mal wieder noch dort zum Malen, obwohl ich im Priesterseminar einen schönen Raum für meine Malerei bekommen habe.“ Übrigens ist auch das Titelbild dieses Artikels ein Bild von Andreas. (Interieur Nr. 10 von Andreas Jauss, 2015, 100 x 150 cm, Öl auf Leinwand)

Andi bei der Eröffnung seiner Ausstellung im Wilhelmsstift

Wenn ich Andreas so beim Erzählen zuhöre, habe ich das Gefühl, er ist sehr froh darüber nach Kirchentellinsfurt gezogen zu sein. Nicht zuletzt, weil er in der Kirchengemeinde lauter nette Leute kennen gelernt hat, wie er sagt. Auch die enge Freundschaft mit Tomas Begovic, die seinen Weg maßgeblich geprägt hat, begann hier. Aber wie kam es überhaupt dazu, dass er sich in der Kirchengemeinde engagiert hat? „Das hab ich vor allem meinem amerikanischen Freund, der Priester ist, zu verdanken. Er hat gesagt: ‚Jetzt geh doch einfach mal in die Kirche.‘ Und das hab ich dann gemacht.“ Denn fremd war die katholische Kirche Andreas nicht. Aber auch nicht dauernd präsent. Es hat sich gelohnt, dass er dem Rat seines Freundes gefolgt ist: Kirchengemeinderat (obwohl er sich erst gesträubt hat), Lektor, Kommunionhelfer und Katechet in der Firmvorbereitung. Bei allen seinen ehrenamtlichen Aktivitäten hat er gemerkt, dass ihm vor allem die liturgischen Dienste und das Zusammensein mit den Menschen Spaß machen.

Doch nur weil man Spaß an Gottesdienstgestaltung und Zwischenmenschlichkeit hat, wird man noch lange nicht Priester, oder? Und hier kommt wieder der amerikanische Priester-Freund ins Spiel: Er stellte nämlich die Möglichkeit in den Raum, dass Andreas doch ins Seminar gehen könne. Und Andreas? „Ich verneinte vehement. Priester war nach wie vor keine Option für mich. Ich war zufrieden mit meinem Job und meinem Engagement in der Kirchengemeinde.“ Obwohl er den Priesterberuf weiterhin kategorisch ablehnte, kam für ihn das Berufsbild des ständigen Diakons in den Blick. Doch die lange und intensive Ausbildung schreckte ihn zunächst ab. Immerhin hatte er ja einen Job und dann nebenher noch die Ausbildung traute er sich nicht zu.

Wenn die Gesundheit nicht mehr mitspielt

Hatte er sich bis jetzt nicht vorstellen können, nochmal etwas ganz anderes anfangen zu können, veränderte sich durch eine gesundheitliche Krise einiges. Andreas war, wie er erzählt, gezwungen einige Monate zu fasten. Und während das für manche nur schwer machbar ist, war es für ihn eine Energiequelle. Nach seiner Genesung hatte er so viel Power, dass er überlegte wohin mit dieser überschüssigen Kraft. „Und da kam mir die Ausbildung zum Diakon wieder in den Sinn. Jetzt hatte ich die Energie sie anzugehen.“ Gesagt, getan. Aber wieder war da sein amerikanischer Freund, der meinte, dass Diakon ja ganz schön sei, aber Priester sei doch auch eine Möglichkeit. „Jetzt war es bei mir keine totale Ablehnung mehr“, meint Andi und wirkt selbst noch darüber erstaunt, dass sich seine Meinung durch die gesundheitlichen Probleme verändert hat.

Entscheidungsweg

Andreas begann also die Ausbildung zum ständigen Diakon (dabei wird das Priesteramt nicht angestrebt). Trotzdem schwang nun immer die Frage mit: „Vielleicht doch Priester?“ Aber er stellte fest, dass er nach wie vor nicht so weit war. Nach etwa der Hälfte der Ausbildungszeit zum ständigen Diakon muss der Ausbildungsleiter eine Empfehlung abgeben, ob jemand zur Diakonweihe zugelassen wird. „Ich bekam diese Empfehlung nicht. Das war für mich erst einmal nicht gut. Aber mein Ausbildungsleiter hatte mir klar gemacht, dass ich die Frage Priester oder ständiger Diakon für mich klären muss. Vorher kann er mir keine Empfehlung aussprechen.“ Also überlegte Andreas, wie er diese Entscheidung möglichst gut treffen kann und entschied sich für ein halbes Jahr nach Lantershofen ins interdiözesane Seminar zur Priesterausbildung St. Lambert zu gehen, um Klarheit zu bekommen. Freigestellt von seinem Beruf im Lindenmuseum wurde aus dem halben Jahr bald ein Jahr und nun stand er vor der Entscheidung: „Mache ich weiter und kündige meinen Job oder kehre ich zurück?“ Er entschied sich zu bleiben.

Zweifel und Bestätigung

Die Abläufe und Strukturen innerhalb der Priesterausbildung gaben ihm immer wieder Anlass an seinem Vorhaben zu zweifeln. Spontan sagt er dazu: „Muss ich mir das wirklich noch antun?“ Immerhin war es für ihn eine riesige Umstellung des Alltags. Vom selbstbestimmten hin zu einem vorgegebenen Alltagsablauf. Aber nach und nach fand er sich in die neuen Strukturen ein und verbrachte vier ganze Jahre im Seminar in Lantershofen. Tja, und dann folgte 2016 seine Weihe als Diakon (denn bevor man Priester wird, wird man zuerst Diakon). Endlich fühlte er sich angekommen. Seine Zeit als Diakon verbrachte er in Sindelfingen: „Ich bin sehr, sehr gerne Diakon. Es ist die Bestätigung, das Richtige zu machen.“

Am Ende nun doch das Priesteramt

So wie ich Andreas verstanden habe, ist er davon überzeugt, dass er als Priester noch stärker mit den Menschen arbeiten und wirken kann. Denn er sieht, dass „unsere Welt vor allem darunter leidet, dass die Menschen egoistisch sind und nur ihren eigenen Vorteil sehen.“ Dem möchte er als Priester entgegenwirken. Und hat dafür, nach eigener Aussage, in Kirchentellinsfurt „einen guten Boden“ durch die Gemeinde und seine Freundschaft zu Pfarrer Tomas Begovic bekommen.  Für ihn ist das Leben ein Weg mit verschiedenen Wegen. „Da ist es gut, offen zu sein für das, was kommt, denn es warten viele schöne Dinge.“

„Bist du aufgeregt vor deiner Priesterweihe?“

Darauf gibt Andreas ein schlichtes „Ja“ als Antwort. Ich frage natürlich genauer nach und er meint: „Naja, es ist ein großer Schritt. Ich frage mich, ob ich allen Anforderungen gerecht werde. Mein Leben verändert sich durch die Priesterweihe nochmal. Da habe ich eine Unsicherheit, denn auch wenn ich es eigentlich nicht möchte, verändert sich die Stellung. Ich muss mich dann daran gewöhnen nicht mehr Diakon, sondern Priester zu sein“. Für Andreas geht es nach der Priesterweihe und Primiz ab September für zwei Jahre an seine erste Stelle als Vikar. Danach nochmal zwei Jahre als Vikar an einem andere Ort. „Man wird zum Nomaden, packen, umziehen, packen … ein bisschen so wie Abraham“, fällt ihm zu seinen nächsten Jahren ein.

Zum guten Schluss …

… möchte ich noch von ihm wissen, wo er sich eher sieht: In der Gemeinde oder zum Beispiel als Krankenhausseelsorger. Darauf meint er: „Da bin ich ganz offen, wo es mich hintreibt.“ Doch bei einem ist er sich ganz sicher: Andreas sieht sich als Seelsorger, nicht als Verwalter großer kirchengemeindlicher Zusammenschlüsse, wo der Mensch auf der Strecke bleibt.

Jetzt läuten schon die Glocken zum Mittagsgebet und wir verabschieden uns. Ich werde bei dem herrlichen Wetter noch ein Eis essen und Andreas? Für ihn geht es jetzt direkt weiter in der Vorbereitung auf die Priesterweihe.

Ein großes Dankeschön an Andreas, dass er sich die Zeit für das Interview genommen hat und für seinen weiteren Weg Gottes Segen.

5 Gedanken zu „Auf Umwegen zum Priester

  1. Herzlichen Glückwunsch zur Priesterweihe dem neuen Seelsorger unter den Lebenskünstlern, von der Mesnerfamilie i. R. aus Stuttgart. Es wird sich sicher noch eine Gelegenheit über Kerstin und Helmut ergeben, um eine persönliche Bekanntschaft erleben zu können.

    1. Er heißt allerdings Andreas Jauss Alexander Haas ist der andere Priesteramtskandidat. Und der dritte im Bunde ist Mathias Michaelis.

  2. Ein interessanter Lebensweg, der nachdenklich macht. Zum Einen, dass hinter jedem Menschen so viel Lebensgeschichte steckt, die man als Außenstehender nicht kennt. Zum Anderen aber auch die Frage: Wie sieht mein Lebensweg aus? Gibt es da vielleicht auch eines Tages eine Wendung, von der ich noch nichts ahne?

    Ich wünsche Andreas Jauss, dass er seine Ziele und Wünsche auch im sicherlich oft harten Alltag mit seinen Zwängen (große Gemeinden, viele Aufgaben und Administration etc.) umsetzen kann, nah an den Menschen ist und immer auch Menschen hat, die für ihn da sind.

  3. Ein wunderbarer Bericht über Andreas Jauss, den das wirkliche Leben beschreibt. Ein guter Gedanke: Für alles was kommt offen zu sein!
    Sehr mutig!

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