Für uns geopfert

Ist Erlösung nur als Sühne vorstellbar?

Auszug aus dem Osterbrief 2018

Christus, das „Lamm Gottes, das hinwegnimmt die Sünde der Welt“, „für uns geopfert“, „am Stamm des Kreuzes geschlachtet “ …
Bilder, die uns von klein an begleiten und vertraut sind. Doch sind sie auch verständlich? Können wir heutzutage noch nachvollziehen, dass durch den Tod eines Unschuldigen alle Menschen erlöst sind?

Von Thomas Münch

Dass es einen Gott gibt, der seinen „geliebten“ Sohn schmählich hinrichten lässt, um so mit den „sündigen“ Menschen versöhnt zu werden? Erfolgt Erlösung wirklich nur aus dem furchtbaren Leiden eines anderen?

Das Bild des Opferlamms entstammt uralten Überlieferungen und ist fester Bestandteil der frühchristlichen Symbolik. So wurde bereits in der frühen Liturgie vor dem Kommunion-Empfang die Formel vom „Lamm Gottes, das die Sünde der Welt wegträgt“ aus dem Johannes-Evangelium gebraucht. Auch im Gloria bitten wir „Jesus Christus, Herr und Gott, Lamm Gottes, Sohn des Vaters, du nimmst hinweg die Sünde der Welt: erbarme dich unser!“. Zahlreich sind die Darstellungen des Lammes, das sein Blut vergießt und zugleich die Siegesfahne trägt. Und jeder Musikliebhaber kennt das „Agnus Dei“ in vielerlei Melodien von schlichter Gregorianik bis zum gewaltigen Verdi-Requiem. Sehr eindrücklich der Choral mit seinem schrecklichen Text:

„O Lamm Gottes unschuldig, am Stamm des Kreuzes geschlachtet,
allzeit erfunden geduldig, wiewohl du warest verachtet.
All Sünd‘ hast du getragen, sonst müssten wir verzagen,
erbarm dich unser, o Jesu!“ (Gotteslob Nr. 203)

Das Bild von Jesus als dem Opferlamm findet sich vor allem im Johannesevangelium. Der Evangelist bezieht sich auf das sogenannte vierte Gottesknechtslied im Buch des Propheten Jesaja. In Kap. 53, Vers 7, wird das Verstummen des verfolgten Gottesknechts mit dem Verstummen eines Lammes vor seinem Scherer verglichen. Wenige Verse später heißt es, „dass der Knecht durch sein Sterben ‚die Sünden der vielen‘ fort- bzw. auf sich nimmt. Diese Aussage wurzelt also in genuin (ursprünglich) jüdischem Denken, setzt es doch das ambivalente Gottesbild der Religionsgeschichte voraus, das fraglos auch die Gottesvorstellung des Alten Testaments prägt. Der jüdische Philosoph, Martin Buber, beschwört dies mit seiner Formel von ‚unserem grausamen und gütigen Herrn‘ herauf.“

Für die christliche Urgemeinde schien der Kreuzestod Jesu zunächst nichts anderes als das Scheitern eines von Gott Verworfenen und damit das definitive Ende aller auf ihn gesetzten Hoffnungen. Eine plausible Erklärung für Jesu Tod fanden die frühen Christen, fast ausnahmslos konvertierte Juden, in dem ihnen geläufigen Opfer- und Sühnegedanken: „Mit seinem Tod hatte Jesus jetzt stellvertretend die allfällige Sühneleistung erbracht, wie sie Gottes Strafgerechtigkeit von einer notorisch an die Sünde verfallenen Menschheit einforderte. Er war, unter Anspielung auf die Paschaüberlieferung (Ex 12), das Opferlamm, das ‚Lamm ohne Fehl und Makel‘(1Petr 1,19), das zur selben Stunde am Kreuz verblutete, als im Tempel die Lämmer für das große Fest geschlachtet wurden (vgl. Joh 19,14.31.36).“ Die Worte Jesu beim Abendmahl – „Mein Leib, der für Euch hingegeben wird; mein Blut, das für euch vergossen wird“ – unterstreichen diese Deutung eines Sühneopfers.

Der Gedanke des Sühnetods wird in der Theologie des Mittelalters weiter entfaltet und in ein rechtliches Denkschema gefasst: „Gesetz“, „Schuld“, „Strafe“, „Lohn“, „Buße“, „Loskauf“ sind juristisch gefärbte Leitbegriffe einer strengen und auf Leistung ausgerichteten Erlösungslehre.

Der liebende Vater

Jesus jedoch hat seinen jüdischen Zeitgenossen ein ganz anderes Gottesbild verkündet, in Wort und Tat, mit seiner ganzen Existenz: Gott ist der bedingungslos liebende Vater, der sogar „gegen die Undankbaren und Bösen gütig ist“ (Lk 6,35) – ein Bild, das heutzutage weitgehend unsere Vorstellung von Gott bestimmt. Hinzu kommt, dass sich der heutige Mensch als autonomes Wesen versteht, das sein Handeln und Verhalten selbst verantwortet; Sühne, stellvertretend durch eine Person erbracht, ist nicht nachvollziehbar.

Was für einen Sinn hat also das Kreuz, wenn es nicht dazu dient, das Verlangen eines unnachsichtig auf Strafgerechtigkeit bestehenden Gottes zu befriedigen? Erlösung lässt sich nicht isoliert durch den Tod am Kreuz verstehen – Menschwerdung Gottes, Botschaft und Wirken Jesu mit der Konsequenz des Todes, die Bestätigung und Zusage durch Christi Auferweckung gehören zusammen. „Gott braucht nicht den Tod Jesu, um uns vergeben zu können. Er vergibt, weil er uns liebt … Wir müssen uns vor dem magischen Missverständnis hüten, als ob der Tod Jesu notwendig war, damit Gott uns vergeben könne … Gott hat schon vor dem Tod Jesu am Kreuz Menschen ihre Sünden vergeben …“

Jesu Tod – letzte Konsequenz seiner Botschaft

Jesus war nicht für blutige Opfer. Er vertraute seinem Vater, dem Gott, der in Person die Liebe ist. Für ihn bedeutete der Tod die letzte Konsequenz seiner Botschaft, seines Weges, den er für uns Menschen ging. Viele Beispiele in der Geschichte – denken wir an Dietrich Bonhoeffer, Martin Luther King, Oscar Romero – zeigen Menschen, die angstvoll ihrem Tod entgegengesehen haben und doch hofften: Wenn ich geopfert werde, dann ist es für die anderen. So hat auch Jesus selber seinen Tod sicher nicht als Sühnetod verstanden, sondern als Konsequenz seiner Lehre, die der Gesetzesreligion der Schriftgelehrten widersprach. Was aber ist überzeugender als eine Botschaft, für die ein offensichtlich guter Mensch alles hingibt, sogar sein Leben, und was ist erlösender als die Bestätigung dieser Botschaft durch die Auferweckung? So wurde Jesus „das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt“.

Zitate:
1 Johannes Franzkowiak „Jesus das Opferlamm“ (unveröffentlichter Artikel) – Dr. theol., Studium der katholischen Theologie in Bochum und Würzburg, Studium der Ägyptologie in Basel, Biebelwissenschaftler
2 ebd.
3 Anselm Grün, Dem Alltag eine Seele geben. 2003, S. 115
4 vgl. Willigis Jäger, Mystik im 21. Jahrhundert, S 134

3 Gedanken zu „Für uns geopfert

  1. Dieser Artikel entspricht meinem Denken und Glauben. Es wäre schön, wenn diese Sicht häufiger in geäußert und in der Liturgie sicht- bzw. hörbarer würde.

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