Ich sehe den Himmel offen

Am 26. Dezemeber, 2. Weihnachtsfeiertag, feiert die Katholische Kirche den Gedenktag des Heiligen Stephanus. Die Kirche in Kusterdingen ist dem Heiligen Stephanus geweiht und feiert daher am 26. Dezember Patrozinium. Dieses Jahr durfte ich, Gemeindereferentin Eva Schlegel, die Predigt in Wannweil und Kusterdingen übernehmen. Sie können die Predigt hier nachlesen oder auch im Video unten anschauen und hören.

Lesungstext (Apg 6, 8–10; 7, 54–60)

Lesung
aus der Apostelgeschichte.

In jenen Tagen
6, 8 tat Stéphanus aber,
voll Gnade und Kraft,
Wunder und große Zeichen unter dem Volk.
9 Doch einige von der sogenannten Synagoge der Libertíner
und Kyrenäer und Alexandríner
und Leute aus Kilíkien und der Provinz Asien
erhoben sich, um mit Stéphanus zu streiten;
10 aber sie konnten der Weisheit und dem Geist, mit dem er sprach,
nicht widerstehen.
7, 54 Als sie seine Rede hörten,
waren sie in ihren Herzen aufs Äußerste über ihn empört
und knirschten mit den Zähnen gegen ihn.
55 Er aber, erfüllt vom Heiligen Geist,
blickte zum Himmel empor,
sah die Herrlichkeit Gottes und Jesus zur Rechten Gottes stehen
56 und rief:
Siehe, ich sehe den Himmel offen
und den Menschensohn zur Rechten Gottes stehen.
57 Da erhoben sie ein lautes Geschrei,
hielten sich die Ohren zu,
stürmten einmütig auf ihn los,
58 trieben ihn zur Stadt hinaus und steinigten ihn.
Die Zeugen legten ihre Kleider
zu Füßen eines jungen Mannes nieder, der Saulus hieß.
59 So steinigten sie Stéphanus;
er aber betete
und rief: Herr Jesus, nimm meinen Geist auf!
60 Dann sank er in die Knie
und schrie laut:
Herr, rechne ihnen diese Sünde nicht an!
Nach diesen Worten starb er.

Link zu den Lesungstexten

Meine Predigt

Liebe Gemeinde,
vor dem Gottesdienst haben Sie ein Foto bekommen. Nehmen Sie es gern in die Hand und betrachten es einen Moment.

Bildbetrachtung

Was ist auf Ihrem Bild zu sehen? Vielleicht nur Himmel? Die Sonne? Wolken? Noch ein Stück vom Berg oder Meer? Ein Regenbogen? Bäume? Welche Farbe hat ihr Bild? Blau? Rot? Grau? Gemischt?

Individuelles Bild – Woher kommen die Bilder

Das Bild auf Ihrem Platz zeigt ein Stück vom Himmel, wie er in DEM Moment aussah, als die Person auf den Auslöser gedrückt hat. Kein Bild ist wie das andere. Jeder und jede sieht ein anderes Stück vom Himmel. Das Tolle ist, die Bilder wurden von ganz unterschiedlichen Menschen aufgenommen. Ich habe einen Aufruf in meinem WhatsApp Status gemacht, dass ich Bilder für eine Predigt brauche und hatte innerhalb eines Tages so viele Bilder zusammen, dass ich keins doppelt entwickeln lassen musste. Alle, die mir geschrieben hatten, hatten das Bild schon auf ihrem Handy, mussten es nicht neu machen. Der Himmel fasziniert in all seinen Facetten.

Himmel ist nah und doch fern

Himmel hat in der deutschen Sprache zwei Bedeutungen. Wir haben ein Wort für den göttlichen Himmel und den Natur-Himmel. In anderen Sprachen gibt es dafür zwei: so wie es das zum Beispiel im Englischen mit sky und heaven gibt. Wir denken bei Himmel meistens an das, was wir über uns sehen. Und auch wenn wir davon sprechen, dass Verstorbene im Himmel sind, sagen wir „sie sind da oben“. Für uns ist Himmel etwas, das über uns ist. Etwas, das nicht unmittelbar erreichbar ist, aber doch sichtbar. Wir sehen den Himmel zwar, zumindest den Natur-Himmel, aber wir können ihn nicht anfassen, er ist nah und doch fern.

Stephanus – wer ist er

In der Lesung aus der Apostelgeschichte haben wir gehört, dass der Diakon Stephanus den Himmel offen sieht.
Stephanus, hellenistischer Jude und ein begnadeter Redner, der glühender Anhänger von Jesus ist, verteidigt und erzählt von ihm überall. Stephanus ist wortgewandt und zutiefst überzeugt davon, dass mit Jesus eine neue Zeit angebrochen ist. Er hat Jesus vermutlich nicht selbst kennengelernt, glaubt aber den Aposteln, was sie über Jesus und seine Taten erzählen.

Streitgespräch

Weil er so gut mit der Sprache umgehen kann ist er für die Juden der hellenistischen Oberschicht in der Synagoge der ideale Gesprächspartner.

Stephanus klagt an und stellt in Frage

Das, was er sagt, gefällt den griechisch sprechenden Juden aber überhaupt nicht. Wer hört schon gern, dass das von dem man selbst überzeugt ist, nicht die Meinung des anderen ist oder sogar komplett in Frage gestellt wird.

Situation der Juden und Judenchristen

Warteten diese Juden ja noch immer auf den Messias. Für Stephanus aber ist klar, dass Jesus der Messias ist, dass mit ihm das neue Zeitalter angebrochen ist. Und er ist überzeugt, dass er auf Treiben der jüdischen Oberschicht hin ermordet wurde. Und da nimmt er auch kein Blatt vor den Mund. Dass das nicht zur Deeskalation beiträgt, ist klar.

Warum hört er nicht auf?

Aber Stephanus konnte einfach nicht anders. Erfüllt vom Heiligen Geist MUSSTE er über Jesus als Messias sprechen, MUSSTE er über Jesus Taten sprechen. Darüber, dass Gott in Jesus Mensch geworden ist und seine Liebe der Welt zu Füßen legt. Was wir ja gerade an Weihnachten feiern. Stephanus wollte seine Gegenüber überzeugen und mit hineinnehmen in seine eigene Erkenntnis.

Stephanus hört nicht auf – Eskalation

Von außen betrachtet, würden wir ihm an liebsten sagen: Hör auf, das nimmt ein schlimmes Ende.
Aber Stephanus hört nicht auf, er muss einfach loswerden, was er glaubt und dann hat er, erfüllt vom Heiligen Geist diese Vision: Er hinauf zum Himmel und sieht ihn offen. Er sah die Herrlichkeit Gottes und Jesus zur Rechten Gottes stehen.
Diese Vision stärkt ihn, erfüllt ihn ganz und gar. Bestätigt, was er glaubt. Bestätigt, warum er nicht aufhören kann weiterzureden. Auch wenn es sein Schicksal besiegelt.

Wunsch nach eigener Überzeugung

Stephanus ist ganz klar. Er ist sich so sicher in seinem Glauben. Das finde ich bewundernswert. Oft wünsche ich mir, dass ich Sachen auch so klar sehe, so überzeugt von meinen Ansichten bin. Sowohl im Glauben als auch in politischen und Lebens-Fragen. Ich wünsche mir, dass ich erkenne, was richtig ist, was gut ist und was wahr ist.
Und dann für diese Überzeugung, für meine Erkenntnis auch einstehen zu können, weil ich mich damit auseinandergesetzt habe, weil ich mir Gedanken gemacht habe und für mich zu einer Entscheidung gekommen bin. Andere davon überzeugen, weil ich selbst überzeugt bin. Aber auch auszuhalten, dass andere zu einer anderen Entscheidung gekommen sind.

Himmel offen als Stärkung

Allerdings will ich nicht ans Äußerste gehen wie Stephanus. Ich bin eher Typ „Kompromiss finden“.
Und da wünsche ich mir bei dem vielen Durcheinander hin und wieder, dass ich den Himmel auf meine Weise offen sehe. Dass ich ein Stückchen von der Herrlichkeit Gottes sehen darf. Nicht so dramatisch mit Steinigung, lieber
– als Bestärkung, dass ich Spannung aushalten kann, wo ich anderer Meinung bin als meine Mitmenschen.
– Als Unterstützung, wenn meine Begeisterung nicht auf ein Echo trifft.
– Als Rückbesinnung, dass mein Glaube mir Hoffnung gibt, wenn es mal wieder düster aussieht.

Himmel offen an Weihnachten

Weihnachten ist für mich so ein Tag, an dem der Himmel offen ist. Gottes Herrlichkeit wird greifbar im Kind in der Krippe.

Ich wünsche Ihnen, dass der Himmel sich für Sie immer wieder öffnet, nicht nur an Weihnachten.
Dass Sie ihn auf Ihre Weise offen sehen, wenn Sie es brauchen.
Wenn Sie Rückversicherung brauchen, was Sie im Leben tragen kann.
Nehmen Sie das Bild gern mit nach Hause. Gerne dürfen Sie es verschenken, aber auch selbst behalten. Und vielleicht kann dieses Stück vom Himmel Ihnen helfen, die Herrlichkeit Gottes immer wieder zu sehen.
AMEN.

Das Video entstand im Gottesdienst am 26. Dezember in der St. Stephanuskirche in Kusterdingen

Ein Gedanke zu „Ich sehe den Himmel offen

  1. Liebe Eva,
    für mich ist das eine wunderbare Predigt. Sie weitet mein Verständnis von ‚Himmel‘. Die vielen Himmelsbilder sprechen eine deutliche Sprache und weisen auf das gegenseitige Verstehen hin, ohne die eigene Überzeugung verlieren zu befürchten. Toll die Herleitung via St. Stephanus.

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