Die Hoffnung ist weiblich – Frauen und das leere Grab

 

Frau Dr. Claudia Guggemos, Leiterin der Katholischen Erwachsenenbildung (keb) Bildungswerk Kreis Reutlingen, schrieb für unseren Osterbrief 2021 den Leitartikel zu „Die Frauen am leeren Grab“. Wir wollen diesen Text nicht jenen vorenthalten, die unsere Homepage lesen, jedoch keinen Osterbrief erhielten. In dem Artikel setzt sich die Autorin nicht nur mit der biblischen Geschichte auseinander, sondern nimmt immer wieder Bezug auf die derzeitige Situation unserer Kirche und deren Problematik.

DIE HOFFNUNG IST WEIBLICH
DIE FRAUEN UND DAS LEERE GRAB

Was ist besonders an dieser Nacht der Nächte? Ursprünglich gehört diese Frage zum Pesachfest der Juden, wo sie vom jüngsten Kind am Tisch gefragt wird. Und dann erzählt der oder die Älteste am Tisch die Geschichte von der Schöpfung und die Geschichten vom Auszug aus Ägypten. Diese Frage kommt auch in katholischen Oster-nachts-Gottesdiensten immer wieder auf.

Warum?

Wir kennen diese Frage gut, denn sie ist die erste Frage, die Kinder lernen und mit der sie uns Er-wachsene an den Rand der Verzweiflung bringen können. Was uns manchmal nervig oder wie ein Spiel erscheint, beinhaltet tiefen Ernst. Die Kinder erforschen damit die Grenzen unseres Wissens. Sie fordern uns heraus und wollen Antworten, die uns an unsere eigenen Grenzen stoßen lassen. Sie konfrontieren uns mit dem Abgrund unseres eigenen WARUM. Dieser Abgrund des WARUM ist es, der uns zu Menschen macht, sodass wir Leid nicht einfach hinnehmen. Angesichts des Krieges, der Pandemie oder der Missbrauchserfahrungen und des Umgangs unserer Kirche mit den Opfern stoßen wir immer öfter auf das WARUM. Am Karfreitag stellen wir uns dem großen WARUM, das alle Fragen einschließt. Karfreitag ist die Frage ohne Antwort, die uns alle vereint.

Die Frauen am Grab

In dieser Stimmung der Hoffnungslosigkeit beginnt die Geschichte der Frauen am Grab. Maria aus Magdala, Maria, die Mutter des Jakobus, und Salome begeben sich ohne Erwartungen zum Grab (Anm. d. Redaktion: Mk 16,1-8). Sie glauben, ihre Hoffnungen sind nun begraben.
Wir können diese Stimmung nachvollziehen. In den Wochen des Lockdowns haben wir diese Perspektive oft selbst erlebt. Schritt für Schritt sind wir durch die Tage gegangen – viele davon trüb und grau – in der vagen Hoffnung auf ein bisschen Frühling und Lockerungen in den Beschränkungen. Nicht selten stellt sich da für uns die Frage nach dem WARUM. Die Frauen sind mutlos, haben gar nicht vor, den Stein vom Grab wegzurollen, sie wollen nur das Ende ihrer Hoffnung noch einmal in den Blick nehmen. Sie machen einen Karfreitagsgang in die Nacht. Warum ist diese Nacht anders als alle anderen Nächte?

„Fürchtet euch nicht“

Die Osternacht ist anders, weil sie nicht stehen bleibt vor der großen Frage WARUM, sondern Antwort sucht. Wie beim jüdischen Pesach-Fest besteht diese Antwort aus Geschichten. Höhe-punkt aller Geschichten in der Osternacht ist die Geschichte der drei Frauen am Grab. Damit sie eine Hoffnungsgeschichte erleben, braucht es bei Markus nicht viel: das leere Grab, das die Frauen betreten, und dann die Botschaft des Engels: „Fürchtet Euch nicht! Den Gekreuzigten findet Ihr hier nicht. Er ist jetzt der Auferstandene. Erzählt das den Jüngern, vor allem Petrus!“ Und das ist es schon. Darum geht es an Ostern, so könnte man meinen: Die Frauen wachen auf aus ihrer Trauer-Lethargie und finden Frieden und Hoffnung.

Ungläubiges Staunen

Aber das Markusevangelium bleibt realistisch. Die Frauen wissen, was sie erlebt haben, aber, wie viele Frauen, Männer und Kinder heute, trauen sie ihrer eigenen Wahrnehmung nicht. Das können wir im 8. Vers des Markusevangeliums lesen, der in der Osternacht nicht mehr vorkommt: „Da verließen sie das Grab und flohen; denn Schrecken und Entsetzen hatte sie gepackt. Und sie sagten niemandem etwas davon, denn sie fürchteten sich.“ Das Ostern der Frauen am Grab ist komplizierter, voller realer Hindernisse. Die Frauen wissen, welche Position sie in der Männergesellschaft vor 2000 Jahren haben. Sie wissen, dass ihr Wort nicht zählt. Das große WARUM stellt sich ihnen: Warum ich? Warum wir Frauen?

Begegnung mit dem Auferstandenen

Deshalb begegnet ihnen der Auferstandene Jesus selbst. Zuerst zeigt er sich Maria von Magdala, die daraufhin versucht, den elf Aposteln die frohe Botschaft zu verkünden und dabei scheitert. Ich stelle mir vor, dass Maria, die Mutter des Jakobus, und Salome die zwei Frauen sind, denen Jesus in Vers 12 begegnet. Diese Begegnung ist größer als das dunkle WARUM, das die Frauen an das Grab getrieben hat.

Frauen, die gehört werden wollen

Zwei Hoffnungsgeschichten bringen die Frauen vom Grab mit. Sie erzählen die Botschaft der Auferstehung. Mit diesen Geschichten wollen sie nichts beweisen und sie erklären damit nicht, was das ist, Auferstehung. Ihr Anliegen ist es, die Jüngerinnen und Jünger dazu einzuladen, eigene Begegnungen zu Jesus zu suchen. Sie bemühen sich, zu ermutigen, in dem Wissen, dass ihre Botschaft abgelehnt werden kann. Und genau das geschieht. Das Markusevangelium stellt ganz knapp dar, was passiert, wenn Frauen ihre wahren Geschichten denjenigen erzählen, die betriebsblind sind. Diese Führer steuern das Schiff ihrer glaubenden Gemeinde voller Angst und Hoffnungslosigkeit. Und das Ergebnis ist – es wird nicht darauf reagiert und alles verharrt in Stillstand. Da muss schon Jesus selbst kommen und die Führer der Gemeinschaft tadeln und als „ungläubig“ bezeichnen, bis diese sich bewegen. Endlich beginnen sie zu handeln und erzählen in ihren Gemeinden die Geschichten, die die drei Frauen ihnen kundgetan hatten.

Glaube und Hoffnung

Die Ostergeschichten laden uns ein, unserer Hoffnung auf Auferstehung nachzuspüren, eigene Auferstehungsgeschichten zu sammeln. Die Geschichte einer Versöhnung; die Geschichte einer übernommenen Verantwortung, die Geschichte eines Bischofs, der für sein Gewissen einsteht, wenn es um Missbrauchsopfer geht, die Geschichte von langsam wiedererwachendem Leben nach dem Lockdown. All diese Geschichten können sich um die Ursprungsgeschichte ansammeln, wie die Perl-muttschichten einer einzigartigen, gigantisch großen Perle. Das Innerste dieser Perle, das reale Staubkorn, das alle an-deren Geschichten auslöst, ist die Geschichte von Maria aus Magdala, Maria und Salome. Sie gehört zur Urgeschichte des christlichen Glaubens. Wir glauben an einen Gott, der die Frauen vor 2000 Jahren ermutigt hat, wenn sie berechtigte Sorge hatten, dass ihre Aussagen in der damaligen Männerkirche keine Veränderung bewirken. Wir Christ*innen glauben an einen Gott, der seit 2000 Jahren den Frauen vertraut und sie darin bestärkt, ihre Meinung kundzutun.

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