Katharinenkirche Reutlingen im Zeichen der Literatur-Gottesdienste

Warum strömen die Menschen in diese neue Form von Gottesdiensten, genannt Literaturgottesdienste? So jedenfalls der Eindruck in der Katharinenkirche in Reutlingen. Sonntagmorgen 10:30 Uhr – eine Traube von Menschen steht vor dem verschlossenen Portal der Katharinenkirche in Reutlingen.Wer mit den Literaturgottesdiensten in Reutlingen vertraut ist, der weiß, wenn ich da einen guten Platz haben möchte, dann muss ich zeitig da sein.

von Gerlinde Münch

Seit acht Jahren öffnen sich die Tore der Katharinenkirche in Reutlingen für die Literaturgottesdienste. Veranstaltet wird diese Art von Gottesdienst von der evangelischen Katharinengemeinde in Zusammenarbeit mit dem Theater Reutlingen Die Tonne. Die Initiative dazu ergriff die evangelische Pfarrerin, Ursula Heller, die seit 1997 Haus- und Hofpfarrerin der Katharinenkirche ist.

Jeden Sonntag im Februar, also 4 mal, sind wir eingeladen zu einem Gottesdienst der besonderen Art. Er beginnt mit Orgelmusik und Gesang, dem das Psalmengebet folgt.

Ausschnitte aus den Büchern werden von einer Schauspielerin und einem Schauspieler des Theaters Reutlingen Die Tonne vorgetragen. Dazu folgt eine Interpretation von namhaften Theologen und Sprachwissenschaftlern. Dazwischen werden Lieder gesungen und zum Schluss gibt es den Segen. Die Gottesdienste beginnen um 11:15 Uhr und dauern in der Regel zwei Stunden. Aber seien sie gewiss, sie sind so kurzweilig gestaltet, dass es allen Zuhörerinnen und Zuhörern viel kürzer erscheint.

Folgende Bücher wurden dieses Jahr besprochen in „Spuren des Wortes VIII“:

Applaus für Bronikowski von Kai Weyand

Seine Eltern haben Nies als 14jährigen mit seinem vier Jahre älteren Bruder allein zurückgelassen, um nach Kanada auszuwandern. Aus Protest dagegen nennt er sich fortan NC: No Canadian. Nun ist er 31, arbeitslos, glücklos in der Liebe, ziellos. So läuft er durch die Stadt und lässt sich schließlich von einer Bäckereifachverkäuferin nicht nur ein süßes Stückchen, sondern auch eine Straße empfehlen, in die er dann geht. Dort stößt er auf ein Bestattungsinstitut und bekommt das Angebot, als Bestattungshelfer zu arbeiten. Hier findet er seine Bestimmung. Voll Achtung geht er mit den Menschen um, die er für die Beerdigung zurechtmachen darf. Dabei begegnen ihm besondere Schicksale und Einblicke in deren Leben. Aber auch Verwicklungen bleiben nicht aus, als er einer Toten, die gerne eine Seebestattung gehabt hätte, diese ermöglichte, indem er den Sarg flutete.

Der Diplomtheologe Jürgen Simon interpretierte die von den Tonne-Schauspielern vorgetragenen Texte.

Katharinenkirche mit Blick zum Altar
Katharinenkirche Reutlingen
Aller Anfang von Jürg Schubiger und Franz Hohler

Zum Thema Anfänge: „Wie die Welt angefangen hat! Zwei Dichter erzählen und mutmaßen in 34 Hin- und Hergeschichten von der Schöpfung und zwar abwechselnd: Jürg Schubiger fängt an und Franz Hohler hört damit auf.“ Die Schöpfung wird vielfältig und farbig gezeichnet. Das Buch ist das eine Mal irritierend und nachdenklich, das andere Mal spielerisch, witzig und ironisch. Eine Geschichte hat den Titel „Als die Welt noch jung war“ und eine andere „Warum der Teufel böse ist“.

Interpretiert wurden die Texte von dem Sprachwissenschaftler Prof. Dr. Bernhard Rank

 

Die Waffen nieder von Bertha von Suttner

Hauptfigur ist die Wiener Gräfin Marha Althaus, die in vier Jahrzehnten vier Kriege erleben musste. Zunächst den Befreiungskrieg gegen Napoleon, dann den Krieg unter General Radetzky. Jung heiratet sie den Husarenleutnant Arno Graf Dotzky, der einberufen wird und an der Front fällt. Nach vier Jahren der Trauer, lernt sie den Oberstleutnant Friedrich Baron von Tilling kennen. Sie beide lehnen die kriegstreibende und kriegsverherrlichende Gesellschaft ab. Gegen den Widerstand der Familie heiratet sie ihn. Auch Friedrich wird in den Krieg eingezogen, zunächst zwischen Dänemark und Schleswig-Holstein und dann zwischen Österreich und Preußen. Er kehrt verletzt zurück und ist zutiefst geprägt von den Gräuel und dem Elend des Kriegs.

Interpretiert wurden die Texte von Ursula Heller, Haus- und Hofpfarrerin der Katharinenkirche

 

Ein ganzes Leben von Robert Seethaler

Andreas Egger wird als dreijähriges Kind zu seinem Onkel, dem Großbauer Kranzstocker, gebracht. Seine Mutter war gestorben und nur weil sie ihm einen Beutel mit Geld mitgegeben hatte, wurde er von Kranzstocker aufgenommen. Der Bauer macht das Kind zum Knecht und prügelt es immer wieder. Einmal schlug er ihn so heftig, dass er sich den Oberschenkel brach. Von da an hinkte er. Als er heranwächst entwickelt er eine Dankbarkeit, für alles, was seine Seele berührt. Da sind die atemberaubenden Berge, aber auch die Bekanntschaft mit Marie, die er von Herzen liebt. Diese kommt kurz nach der Hochzeit bei einem Lawinenabgang ums Leben. Trotzdem hadert er nicht mit seinem Schicksal und geht seinen Weg. Am Lebensende hat er allen Grund zufrieden zu sein.

Interpretiert wurden die Texte von Prälat Doktor Christian Rose.

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