Von der Freiheit eines Christenmenschen – Teil 3

Prälat i.R. Paul Dieterich hielt am 31.10.2017 in Wannweil den Vortrag „Von der Freiheit eines Christenmenschen“. Unsere Kirchengemeinde hat ja im Jahr 2017 so Einiges für die Ökumene auf die Beine gestellt. Wir finden: Dieser Vortrag bildet einen würdigen Schlusspunkt. Wir haben daher Prälat Paul Dieterich um die Freigabe zur Veröffentlichung gebeten. Der Vortrag geht über mehrere Teile. In dieser Woche lesen Sie Teil 3. von Paul Dieterich

„Der Markt wird es schon richten“

Nehmen wir in der Frage, ob wir heute „Freiheit“ leben, das Beispiel der Wirtschaft. Spätestens seit 26 Jahren ist fast jeder der Auffassung, zum Wirtschaftssystem des freien Marktes würde es keine Alternative geben. Das Dogma, dem fast alle unbewusst folgen, heißt: Wenn jeder das wohlverstandene Eigeninteresse wahrnimmt, kommt schlussendlich eine Art Interessenharmonie heraus. Einfacher gesagt: „Der Markt wird es schon richten“. Das bringt es mit sich, dass in einer Branche jede Firma mit der anderen sich in einem heftigen Konkurrenzkampf befindet. Mit der Folge, dass auch im Betrieb diese Konkurrenz der Mitarbeiter untereinander immer härter wird. „Trau, schau, wem“ ist oft das klimaprägende Prinzip. Und zwischen den Betrieben gibt es immer ausgeprägtere Wirtschaftskriege. Das wiederum überträgt sich auf die Politik. Ein Europa des Wettbewerbs ist zerrissen in Sieger und Unterlegene, in Nord und Süd. Ganz zu schweigen von Ländern in Afrika, die allenfalls als Rohstofflieferanten und Absatzmärkte in diesem System eine Rolle spielen. Wirkliche Entwicklungshilfe, die das Wohl des Entwicklungslandes höher gewichtet als das eigene wirtschaftliche Interesse des Geberlandes, hat es immer schwerer. Man spricht zwar großmundig von globalem Handel. In Wirklichkeit aber wird unser Globus immer mehr zum Schrumpfglobus, denn Länder, die uns „nichts bringen“, überlässt man ihrem Geschick. Jetzt, wo aus ihnen die Elendsfüchtlinge in Massen zu uns kommen, nennt man sie „Wirtschaftsflüchtlinge“, das klingt fast so ähnlich wie Wirtschaftskriminelle. Immerhin sagen einige Politiker jetzt, man müsse in ihren Heimatländern die Fluchtursachen bekämpfen.

Hat dieses umfassende Leistungssystem unsere Welt lebenswerter und friedlicher gemacht?

Aber hat dieses umfassende Leistungs- und Konkurrenzsystem, in dem wir leben, unsere Welt lebenswerter und friedlicher gemacht? Was wird aus der Arbeitswelt, wenn der Wettbewerb in einer Art Marktradikalismus grenzenlos wird? Wo bleibt die demokratische Mitbestimmung und überhaupt die Politik? Werden dann nicht irgendwe1che internationalen Konzerne, die einander bekämpfen, ihre Imperien und Diktaturen befestigen? Wer so fragt, der kann mit der Gegenfrage rechnen: „Willst du etwa zurück zur Planwirtschaft?“ Dahin wird jedenfalls der, der aus der Nähe die Planwirtschaft mit all ihren Zwängen ideologischer Art erlebt hat, nicht wollen. Die Planwirtschaft ist nicht umsonst zusammengebrochen und dass Gebete und der gewaltlose Widerstand unserer Schwestern und Brüder in der DDR im Herbst 89 sehr wesentlich dazu beigetragen haben, das werden wir Christen hoffentlich nie vergessen. Hinter dieses Wunder will wohl keiner von uns zurück.

„Es kommt darauf an, dass eine zukünftige Generation leben kann“

Aber es ist die Frage, die sich in unserer Generation entscheidet: Können wir unter den Zwängen und Eigengesetzlichkeiten dieses Leistungs- und Konkurrenzsystems wirklich eine soziale Marktwirtschaft aufrechterhalten? Eine Wirtschaft, die wirklich den Menschen dient und ihre Würde nicht verletzt?

Wird das Gegengewicht des Sozialen, das den Kapitalismus bändigt, ihm die Grenze aufzeigt, bei uns lebendig bleiben? Wird demokratische Politik den Vorrang behalten vor den Eigengesetzlichkeiten eines globalen Wirtschaftskrieges, in dem selbst Firmen wie VW, die wir für seriös hielten, zu sehr unlauteren Mitteln greifen? Können wir im System einer totalen Konkurrenz eine Wirtschaft etablieren, die den Ländern, die nicht viel zu bieten haben, wirklich aufhilft und sie nicht einfach ihrem Elend überlässt? Und können wir, wenn aus dem Wettbewerb ein Wirtschaftskrieg wird, die Umwelt so schonen, dass auch unsere Enkel und Urenkel sich noch an ihr freuen können? Jetzt werden die Weichen gestellt. Bonhoeffer hat Recht wenn er sagt: „Es kommt nicht darauf an, wie wir uns aus der Affäre ziehen, sondern darauf, dass eine zukünftige Generation leben kann“.

Sport faktisch zum Volkserzieher Nummer Eins geworden

Oder nehmen wir das Beispiel des Sportes. Es ist keine Frage, dass der Sport faktisch zum Volkserzieher Nummer Eins geworden ist. Die Fußballspiele, die wir mit Millionen anderer mit Genuss ansehen, prägen unser Verhalten. Dass Sport nur funktioniert und dass ein Spiel nur dann spannend ist, wenn alle Beteiligten gewinnen wollen und wenn sie dafür an sportlicher Leistung das Äußerste bringen, ist klar. Sport ist nun einmal größtenteils Leistungssport. Aber wenn die Leistung absolut gesetzt wird, wenn es schließlich nur noch um das Gewinnen wollen geht, dann geht mancher Wert unter, der für den Sport so gut wie für das Zusammenleben unverzichtbar ist. Die Kameradschaft etwa oder das gemeinsame Durchstehen schwieriger Situationen. Dann wird eben der Trainer nach der vierten Niederlage von heute auf morgen gefeuert. Und dann ist ein Spieler schließlich das wert, was der Verein für ihn als Ablösesumme bezahlt hat. Dann sind die Olympischen Spiele nicht mehr Spiele, zu denen sich die Jugend der Welt trifft, sondern, religiös aufgeladen, Hochämter globaler Leistungsreligion. Wenn der Leistungssport durch den Leistungskult usurpiert wird und wenn Firmen Sportler zu Werbezwecken verpflichten, dann ist der Sportler verdammt zum Erfolg. Wehe er hat eine Leistungskrise. Mit einem leistungsschwachen Sportler kann man nicht werben. Wenn dann ein Sportler in seiner Verzweiflung zu Doping greift und wenn er dabei erwischt und von der Presse als .Dopingsünder“ behandelt wird, dann denke ich oft an Goethes Vers: „Ihr führt ins Leben uns hinein, ihr lasst den Armen schuldig werden, dann überlasst ihr ihn der Pein, denn alle Schuld rächt sich auf Erden“.

Paul Dieterich, Prälat i.R.

Der Autor: Prälat im Ruhestand. Man könnte auch sagen im Unruhestand.  Seine letzte Station vor seinem Ruhestand war sieben Jahre lang die Prälatur Heilbronn und in der Verantwortung von 580.000 evangelischen Christen in 15 Kirchenbezirken. Paul Dieterich ist bekannt als exzellenter Prediger, hält Vorträge und engagiert sich nach wie vor ehrenamtlich.

Es geht nur noch darum, befreit von all diesen Zwängen, froh und frei zu leben! Was Paul Dieterich damit meint und wie das funktionieren kann, lesen Sie in Teil 4 in der Woche vom 29. Januar 2018.

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